Austausch über direkte Demokratie und Ehrenamt in Corona-Zeiten

Potsdam, 20. Januar 2022. In einer Aktuellen Stunde hat der Landtag über die Folgen der Corona-Pandemie für Bürgerbeteiligung, ehrenamtliches Engagement und die Volksgesetzgebung in Brandenburg debattiert. Rednerinnen bzw. Redner aller Fraktionen und der Landesregierung stellten fest, dass es in dieser Hinsicht Erschwernisse gibt. Bei der Beurteilung aber, wie weit die Probleme schon angegangen und gelöst sind oder was noch zu tun wäre, gingen die Meinungen auseinander.

Für die Fraktion BVB/FREIE Wähler, die das Thema eingereicht hatte, beklagte der Vorsitzende Péter Vida vor allem Einschränkungen beim Sammeln von Unterschriften für das Volksbegehren „Erschließungsbeiträge abschaffen!“. Dadurch sei zur Halbzeit der sechsmonatigen Sammelfrist ein „Nettoverlust von ca. 15.000 Unterschriften“ zu verzeichnen. In Kommunen werde die Bearbeitung verzögert, die Werbung für das Anliegen sei durch Corona erschwert. Deshalb solle der Landtag einen „Nachteilsausgleich“ beschließen und die Sammelfrist verlängern, forderte Vida. Abgeordnete anderer Fraktionen bedauerten, dass BVB/FREIE WÄHLER wenig über Verbesserungen für ehrenamtliches Engagement und Bürgerbeteiligung sagen und sich zu sehr auf das laufende, von ihnen unterstützte Volksbegehren zu den Erschließungsbeiträgen konzentrieren würden. „Die direkte Demokratie ist viel mehr“, betonte der SPD-Abgeordnete Andreas Noack. Brandenburg habe dabei bundesweit „mit die niedrigsten Hürden“. Ein Volksbegehren sei jedoch keine beiläufige Angelegenheit, es gehe um die Aufforderung zu staatlichem Handeln und Landesgelder in erheblichem Umfang. Auch unter Corona-Bedingungen hätten alle Menschen die Möglichkeit, sich in den Unterschriftenlisten einzutragen, „wenn es ihren tatsächlichen Interessen entspricht“. Die AfD-Abgeordnete Lena Kotré sagte, die Lösung für die Probleme bei der Unterschriftensammlung zum Volksbegehren sei eigentlich einfach: „Die sogenannten Corona-Maßnahmen sind aufzuheben und die Normalität wiederherzustellen.“ Die Rednerin sprach sich zudem dafür aus, die Hürden für Volksbegehren nicht nur in Corona-Zeiten herabzusetzen. So solle es möglich sein, dass die Bevölkerung direkt über Beschlüsse des Landtages und Gesetzesvorhaben abstimme.

Für die CDU-Fraktion warnte Björn Lakenmacher, ein Verzicht auf die Amtseintragung würde der Systematik der Volksgesetzgebung in Brandenburg widersprechen. Die Straßensammlung von Unterschriften sei auch wegen des Infektionsschutzes nicht sinnvoll. „Die direkte Demokratie auf Landesebene funktioniert“, sagte Lakenmacher. Er nahm zudem die Kommunalbeschäftigten gegen „pauschale Vorwürfe“ in Schutz und sprach sich für eine Stärkung des Ehrenamtes aus. Andrea Johlige von der Fraktion DIE LINKE nannte erleichterte Bürgerbegehren, eine Förderung für Ehrenamtliche und die Online-Eintragung von Unterschriften als Möglichkeiten, die direkte Demokratie zu beleben. Da BVB/FREIE WÄHLER darüber nicht redeten, sei ihr Vorstoß „eine vertane Chance“. Im Übrigen habe es in den vergangenen Jahren in Brandenburg bereits mehrere Verbesserungen bei der Volksgesetzgebung gegeben, etwa die Chance zur Abstimmung per Brief. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstrich Marie Schäffer, dass die Pandemie die ehrenamtliche Arbeit in vielen Bereichen sehr viel schwieriger gemacht habe. „Die Landesregierung hat bereits an vielen Stellen unterstützt“ und müsse dies auch nach Corona tun. Schäffer warf Vida vor, den Eindruck zu erwecken, der Staat wolle einen Erfolg des laufenden Volksbegehrens verhindern. Das sei „Verschwörungsgeraune“ und schade dem Ansinnen, die direkte Demokratie zu unterstützen. Der BVB-Fraktionsvorsitzende widersprach heftig: Die Äußerungen Schäffers seien „unerträglich und eine Beleidigung derer, die sich hier engagieren wollen“, so Vida.

Innenminister Michael Stübgen wies darauf hin, dass die Briefbeteiligung am Volksbegehren zu den Erschließungsbeiträgen zur Halbzeit „so hoch wie nie“ gewesen sei. Insofern sei der Vorwurf haltlos, die direkte Demokratie würde in der Pandemie nicht funktionieren. Probleme in einzelnen Kommunen seien angesprochen worden und würden behoben. Auch die Verwaltungen seien durch Corona „außergewöhnlich stark belastet“. Stübgen widersprach auch der generellen Kritik an der Brandenburger Volksgesetzgebung und deren Ergebnissen: „Zu einem Volksentscheid ist es allein deshalb noch nicht gekommen, weil Landtag und Landesregierung Kernanliegen der Volksbegehren aufgegriffen und damit einen Volksentscheid überflüssig gemacht haben.“ Ein Scheitern von Volksbegehren sei im Übrigen durchaus möglich, „auch das gehört zur Demokratie“.

Der Landtag lehnte mit Mehrheit bei zahlreichen Enthaltungen den Entschließungsantrag (Drucksache 7/4921) der Fraktion BVB/FREIE WÄHLER ab, der einen Nachteilsausgleich für das laufende Volksbegehren vorsah.

Blick in den Plenarsaal zu Beginn der Aktuellen Stunde auf Antrag der Fraktion BVB / FREIE WÄHLER
Blick in den Plenarsaal zu Beginn der Aktuellen Stunde auf Antrag der Fraktion BVB / FREIE WÄHLER
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