Landtag Brandenburg ruft epidemische Lage aus

Potsdam, 13. Dezember 2021. Der Landtag Brandenburg hat in einer Sondersitzung nach kontroverser Debatte die epidemische Lage für das Land Brandenburg festgestellt. Auf dieser Grundlage können zur Eindämmung der Corona-Pandemie verschärfte Maßnahmen beschlossen werden. Die Sondersitzung fand auf Antrag von Abgeordneten der Fraktionen von SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN statt mit dem Ziel, angesichts der angespannten Lage im Gesundheitssystem die konkrete Gefahr der epidemischen Ausbreitung der Coronavirus-Krankheit im Land Brandenburg festzustellen, um so den Weg für weitere Eindämmungsmaßnahmen freizumachen.

Ministerpräsident Dr. Dietmar Woidke sagte in der Aussprache: „Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass täglich in Deutschland mehr als 500 Menschen an oder mit Corona sterben.“ Er dankte Bundesländern wie Berlin oder Nordrhein-Westfalen, in die Corona-Patienten aus Brandenburg verlegt worden sind, für ihre Solidarität und betonte: „Auch das darf nicht zur Normalität werden.“ Woidke warnte, dass mit den bisherigen Eindämmungsmaßnahmen bei den Infektionszahlen „nicht mehr als eine Seitwärtsbewegung“ erreicht worden sei. „Wir werden deshalb deutlich nachschärfen müssen“, so der Ministerpräsident. Die Landesregierung plane unter anderem, Beschränkungen für Ungeimpfte aufrechtzuerhalten sowie Clubs und Diskotheken zu schließen. Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher sagte mit Verweis auf die hohe Zahl der Neuinfektionen und Krankenhauseinweisungen, dass eine epidemische Lage vorliege, sei offensichtlich. Von einer normalen Funktion des Gesundheitssystems könne schon nicht mehr gesprochen werden, der Höhepunkt der Belastung werde voraussichtlich zu Weihnachten erreicht. Mit Verweis auf die neue Corona-Variante Omikron sagte sie: „Die Lage ist extrem ernst. Eindämmen und Boostern, Boostern, Boostern ist das Gebot der Stunde.“

Birgit Bessin von der AfD-Fraktion warf der Landesregierung vor, mit der Feststellung der epidemischen Lage „reine Willkür“ zu betreiben. „Das Leben in einem einst freien Rechtsstaat entwickelt sich unter Ihrer Coronapolitik stückchenweise immer weiter in Richtung eines totalitären Regimes“, sagte sie. Koalition und Medien warf sie vor, Kritiker der Corona-Maßnahmen und Ungeimpfte zu diffamieren. Von einer „Pandemie der Ungeimpften“ könne keine Rede sein, da Geimpfte sich auch anstecken, das Coronavirus übertragen und an Covid-19 sterben könnten. Der Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion, Daniel Keller, hielt der AfD-Fraktion vor, bewusst falsche Fakten zur Coronaschutzimpfung zu verbreiten und damit eine Mitverantwortung dafür zu tragen, dass viele Menschen verunsichert seien, sich nicht impfen ließen und im Falle einer Erkrankung im schlimmsten Falle sterben. Abgeordneten der AfD-Fraktion, die den Anti-Impf-Kurs ihrer Fraktion mittrügen, sich selbst aber impfen ließen, warf er Heuchelei vor. Um die Pandemie zu bekämpfen, brauche es nun „ein wirksames Zusammenspiel aus Eindämmung und Impfung“. „Wir müssen heute Farbe bekennen“, rief er den Abgeordneten zu: Stimme man gegen die Feststellung der epidemischen Lage, riskiere man, dass die Pandemie außer Kontrolle gerate.

Der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, Sebastian Walter, sagte in Richtung der AfD-Fraktion: „Wir leben in keiner Diktatur, sonst hätten wir keine 20.000 Coronaleugner auf der Straße, sondern 20.000 Vermisste.“ Die AfD-Fraktion rede die Impfung zu Unrecht schlecht: „Die einzige Langzeitfolge dieser Impfung ist, dass sie vor dem Tod schützt.“ Der Landesregierung warf Walter Versagen vor und forderte „Führung und Koordination“ ein. Die epidemische Lage festzustellen, sei noch keine Strategie: „Es braucht endlich einen Plan, der über zwei Wochen hinausgeht.“ Die Booster-Impfung werde nicht die letzte sein, sagte Walter und forderte: „Lassen Sie uns wenigstens bei der vierten Impfung vorbereitet sein.“ Mit Blick auf die Impfung von Kindern unter zwölf Jahren forderte er eine umfassende Aufklärungskampagne, auch um Fakenews entgegenzuwirken. CDU-Fraktionschef Dr. Jan Redmann sagte, es sei „eine Frage der Vernunft, jetzt für eine spürbare Entlastung der Intensivstationen zu sorgen und Vorsorge zu treffen“. Über die Maßnahmen könne diskutiert werden. „Man darf den demokratischen Dialog aber nicht verwechseln mit Verleumdung, Verhetzung, mit gezielter Desinformation oder auch Gewaltaufrufen“, betonte er. In diesem Zusammenhang sprach er sich indirekt für eine strengere Aufsicht über den Messengerdienst Telegram aus: In Deutschland werde jeder Lokalsender mit 5000 Zuschauern strenger kontrolliert als „manches neue Medium mit hunderttausenden Abonnenten, auf dem Lügen am laufenden Band verbreitet werden“, sagte er.

Der Vorsitzende der Fraktion BVB/FREIE WÄHLER, Péter Vida, warf der Landesregierung „zwei kapitale Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen“ vor: zum einen die vorübergehende Schließung der Impfzentren, zum anderen die zwischenzeitliche Abschaffung der kostenlosen Bürgertests. Die Darstellung seiner Vorrednerin Bessin zum Risiko einer Corona-Erkrankung von Geimpften wies er als „platt und primitiv“ zurück: „Geimpfte können ebenfalls erkranken, aber nicht gleichermaßen“, sagte Vida. Das Risiko einer Krankenhauseinweisung sei bei Ungeimpften um den Faktor acht bis zehn höher. Seine Fraktion lehne dennoch weitere Einschränkungen ab, ebenso eine allgemeine Impfpflicht. Die Ko-Vorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Petra Budke, fand deutliche Worte zu den Fackelzügen vor dem Privathaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping und Morddrohungen gegen den Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, die vor wenigen Tagen Schlagzeilen gemacht hatten: „Das erinnert an das dunkelste Kapitel unserer Geschichte. Das hat mit Meinungsfreiheit überhaupt nichts mehr zu tun. Das überschreitet alle Grenzen. Das ist – es lässt sich leider nicht mehr anders bezeichnen – faschistoid.“

Nach zweistündiger Debatte stimmten die Koalitionsfraktionen SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie die Fraktion DIE LINKE für die Feststellung der epidemischen Lage (Drucksache 7/4634), die AfD-Fraktion stimmte dagegen, die Fraktion BVD/FREIE WÄHLER enthielt sich. Entschließungsanträge der Fraktion DIE LINKE (Drucksache 7/4705) und der AfD-Fraktion (Drucksache 7/4708) wurden jeweils mehrheitlich abgelehnt.

Blick in den Plenarsaal zu Beginn der 57. Sondersitzung des Landtages Brandenburg.
Blick in den Plenarsaal zu Beginn der 57. Sondersitzung des Landtages Brandenburg.
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