Landtag debattiert über Lage in Afghanistan und Auswirkungen für Brandenburg

Blick in den Plenarsaal zu Beginn der Aktuellen Stunde auf Antrag der Fraktion DIE LINKE
Blick in den Plenarsaal zu Beginn der Aktuellen Stunde auf Antrag der Fraktion DIE LINKE
© Landtag Brandenburg
Potsdam, 26. August 2021. Der Landtag Brandenburg hat in einer Aktuellen Stunde kontrovers darüber diskutiert, wie es zur derzeitigen Situation in Afghanistan kommen konnte und welche Konsequenzen sich daraus für Brandenburg ergeben.

Die Aktuelle Stunde war von der Fraktion DIE LINKE beantragt worden. Für sie sprach die Abgeordnete Andrea Johlige, die kritisierte, dass kurz vor dem Ende der Evakuierungsmission noch Zehntausende Menschen, deren Leben in akuter Gefahr sei, in Afghanistan festsäßen: „Für diese Menschen haben wir eine Verantwortung, und dieser Verantwortung wird Deutschland gerade nicht gerecht.“ Dem 20 Jahre andauernden Militäreinsatz unter Beteiligung der Bundeswehr stellte sie ein vernichtendes Zeugnis aus: „Die Afghanistan-Politik ist krachend gescheitert.“ Sie sprach von einem „politischen, militärischen, humanistischen, menschlichen und moralischen Desaster“. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Erik Stohn verteidigte den Militäreinsatz am Hindukusch. Er betonte: „Dieser Einsatz war notwendig, um den islamistischen Terror zu bekämpfen. Es war ein schwieriger Einsatz, aber er hat zu Fortschritt in Afghanistan beigetragen.“ Es gehe nun darum, so viele Menschen zu retten wie nur irgend möglich: „Es ist unsere humanitäre Verantwortung und unsere politische Pflicht.“ Lena Duggen von der AfD-Fraktion wies die Aussage zurück, dass Deutschland Verantwortung trage für die Ortskräfte, die die Bundeswehr oder Nichtregierungsorganisationen in ihrem Einsatz vor Ort unterstützt hatten. Sie sprach in diesem Zusammenhang von „einer moralischen Erpressung der Brandenburger“. Die Bilanz des Militäreinsatzes sei „verheerend“: „Das Demokratie-Umerziehungsprogramm in Afghanistan ist gescheitert“, sagte die Abgeordnete. 

Der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Dr. Jan Redmann, räumte ein, dass es mit Blick auf die Bilanz des Afghanistan-Einsatzes nichts zu beschönigen gebe: „Unser Anspruch, eine Demokratie nach westlichem Vorbild aufzubauen, war überambitioniert.“ Durch den Einsatz seien aber terroristische Strukturen zerschlagen worden und eine Generation in Afghanistan habe in Freiheit leben können. Der Linksfraktion, die den Bundeswehreinsatz immer strikt ablehnte, warf er Heuchelei vor: „Mit Ihrer Position wäre in Afghanistan in den vergangenen 20 Jahren kein einziges Mädchen zur Schule gegangen.“ Er begrüßte, dass Brandenburg bei der Aufnahme afghanischer Flüchtlinge eine Vorreiterrolle einnehme, machte aber zugleich deutlich, dass in dieser Frage eine europäische Lösung und eine „internationale Kraftanstrengung“ nötig sei. Péter Vida, Vorsitzender der Fraktion BVB/FREIE WÄHLER, sprach mit Blick auf den Afghanistan-Einsatz von einem „Himmelfahrtskommando“: „Der Einmarsch war schon damals ein Fehler.“ Kriege, die einen Regimewechsel zum Ziel hätten, brächten Leid, Tod und wirtschaftliche Zerstörung. „Und China lacht uns aus und erntet jetzt die Vorteile“, sagte er. Die Bundesregierung und die Sicherheitsdienste seien „nicht fähig und wachsam genug“ gewesen, um die drohende Machtübernahme der Taliban rechtzeitig zu erkennen. Zugleich sagte er, es sei „unglaubwürdig und unwahr, dass man nicht gewarnt war“. Auch die Ko-Vorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Petra Budke, wies die Darstellung zurück, wonach die dramatische Entwicklung nicht absehbar gewesen sei. „Klar ist: Die deutsche Botschaft in Kabul hatr rechtzeitig und unmissverständlich gewarnt!“ Der „gesamten Bundesregierung“ warf sie „eklatantes Versagen“ vor. Sie begrüßte, dass Brandenburg gegenüber dem Bund die Aufnahme von 350 Menschen zugesagt habe. Die Geflüchteten müssten sofort einen sicheren Aufenthaltsstatus bekommen. Afghaninnen und Afghanen, die bereits länger hier leben, sollten eine humanitäre Aufenthalts- sowie eine Beschäftigungserlaubnis erhalten.

Für die Landesregierung sprach Innenminister Michael Stübgen. Den Afghanistan-Einsatz bezeichnete er als den „schwersten und gefährlichsten Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr“ und als „das größte militärische Desaster in der Geschichte der Nato“. „Epochale Fehleinschätzungen“ hätten zur gegenwärtigen Lage geführt und müssten aufgearbeitet werden. „Heute geht es am Hindukusch um unseren Anstand und unser humanistisches Wertegerüst“, betonte er, sprach sich zugleich aber gegen „blinde Hilfe“ aus – es müsse überprüft werden, wer nach Deutschland komme. In Brandenburg sind nach Angaben des Innenministers bislang 266 Menschen angekommen, darunter 125 Kinder und Jugendliche. „Viele besitzen nur noch das, was sie am Leibe tragen“, sagte Michael Stübgen.

Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion BVB/FREIE WÄHLER wurde eine Entschließung angenommen (Drucksache 7/4109), in der die Landesregierung u. a. dazu aufgefordert wird, die erforderlichen Kapazitäten in den Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung zu stellen und die Kommunen bei der vorläufigen Unterbringung der Menschen zu unterstützen. Ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE (Drucksache 7/4095), in dem u. a. ein humanitäres Landesaufnahmeprogramm für 500 besonders schutzbedürftige Personen aus Afghanistan gefordert wurde, fand keine Mehrheit.