Freiwillig. Sozial. Dein Jahr – das Landtagsblog

Wer bin ich?

Hedwig Vogel
Hedwig Vogel
© Landtag Brandenburg
Ich bin Hedwig, 18 Jahre alt und eine echte Brandenburgerin. Geboren und aufgewachsen bin ich im Süden Brandenburgs, wo ich 2022 mein Abitur absolviert habe. Durch das Fach „Politische Bildung“ und den Wettbewerb „Jugend debattiert“ habe ich gemerkt, dass ich ein großes politisches Interesse habe und Gefallen daran finde, mich mit Themen intensiv und kritisch auseinanderzusetzen. Dennoch konnte ich mir nie vorstellen, einmal in diesem Bereich beruflich tätig zu werden. Grund dafür ist der fehlende realistische Einblick. Durch mein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) erhoffe ich mir, diesen zu bekommen. Ich bin gespannt, was das Jahr im politischen Leben mit mir macht. Ab und zu werde ich auf dem Blog davon berichten.

FSJ-Blogeinträge

Angenommen der Ministerpräsident steht neben der Landtagspräsidentin. Wem geben Sie als erstes die Hand?

Eine der ersten Fragen, die mir zu Beginn meines FSJ-P (Freiwilliges Soziales Jahr Politik) gestellt wurden. Meine Antwort: Wenn so gefragt wird, wahrscheinlich eher der Landtagspräsidentin.

Glücklicherweise lag ich damit richtig, jedoch nicht aufgrund der veralteten Verhaltensregelung „Ladies first“, sondern weil sie laut der protokollarischen Rangliste vor dem Ministerpräsidenten steht. Dabei handelt es sich um eine faktische Vorrangstellung des demokratisch direkt legitimierten Parlaments. Einfacher gesagt: die Landtagspräsidentin ist die Vertreterin der Legislative – also des Parlaments, und dieses wird direkt vom Volk gewählt. Da wir in einer Demokratie, also in einer Herrschaft des Volkes, leben, wird die Legislative protokollarisch gesehen „höher gestellt“.

Ehrlicherweise habe ich das jedoch auch erst nach der Frage gelernt und so eine Erklärung wäre vor drei Monaten noch nicht aus meinem Wortschatz entsprungen. Das ist aber auch gar nicht schlimm, denn Ziel meines FSJ ist es schließlich, auch solche Details über den politischen Alltag kennenzulernen.

So startete ich ab September in mein Freiwilliges Soziales Jahr in der Landtagsverwaltung des Landtages Brandenburg. Angefangen mit dem klassischen „Onboarding“ und einer Führung durch das Haus bezog ich meinen Arbeitsplatz im Referat P 1 – Plenum, Präsidium und Parlamentarische Geschäftsstelle. Zugegeben ein sehr surrealer Aufstieg von dem unbequemen Holzstuhl im Klassenzimmer zum eigenen Büro im Landtag mittendrin zwischen Gesetzgebung und parlamentarischer Kontrolle der Regierung.

Die ersten drei Monate war ich damit beschäftigt, die grundlegenden parlamentarischen Abläufe kennen- und verstehen zu lernen. Das wichtigste Werkzeug des Referats P 1 ist die Geschäftsordnung des Landtages. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind für die elektronische Einbringung und Verteilung von Beratungsmaterialien bspw. Gesetzentwürfe, Anträgen und Kleinen Anfragen zuständig. Zudem stehen sie den Fraktionen für Geschäftsordnungsfragen zur Verfügung und gewährleisten einen geschäftsordnungsgemäßen Ablauf der Sitzung. Heißt also salopp gesagt: Sie sind dafür zuständig, dass im Landtag alles nach rechten Dingen läuft.

Deswegen begleiten sie stets auch die PGF-Sitzungen, Präsidiums-Sitzungen und natürlich die Plenarsitzungen. Jede Fraktion hat einen sogenannten PGF (Parlamentarischen Geschäftsführer bzw. Geschäftsführerin), der für Verhandlungen mit anderen Fraktionen zuständig ist. Denn Politik läuft sehr viel auf Verhandlungsbasis. Ich selbst durfte einmal erleben, wie zackig es in so einer Sitzung abläuft und durch Kompromissbereitschaft die Sitzungszeit um fünf Stunden verkürzt werden konnte.

Vielleicht habe ich jetzt mit meinen komplizierten Beschreibungen und den vielen unbekannten Begriffen etwas vor dem FSJ abgeschreckt. Ich muss sagen, dass ich am Anfang dachte, dass ich die grundlegenden politischen Prozesse beherrsche. Dass aber noch deutlich mehr Details und juristisches Handwerk dahinterstecken, erkannte ich dann in den ersten Wochen. Durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landtagsverwaltung wurde ich schnell in die Welt der Abkürzungen hineingeführt und PGF, FGF, MLUK, MSGIV, HA, AIK, AHF gehören jetzt zu meinem täglichen Sprachgebrauch. Es ist wirklich so, dass wenn man wenige Wochen mitten in dem System steckt, die Abläufe schnell erschließbar sind. Also keine Angst: Solange ein grundlegendes politisches Interesse vorhanden ist, kann das jeder und jede schaffen.

Ein Viertel meiner Zeit im Landtag ist vergangen und ich habe das erste Mal den Bereich gewechselt. Es gibt also einiges zu berichten!

Nachdem ich in den ersten Wochen im Referat P1 sämtliche Aufgaben rund um Plenum, Präsidium und die Parlamentarische Geschäftsstelle kennengelernt habe, bin ich nun in der Stabsstelle des Landtages in den Sachgebieten Öffentlichkeitsarbeit, Presse, Protokoll und Besucherdienst/Parlamentsdidaktik unterwegs.

So vielschichtig wie es klingt, ist es auch! Hier ist einiges los und die Aufgaben sind vielfältig. Verbunden mit dem Wechsel sind natürlich auch ein neues Büro und andere Kolleginnen und Kollegen.  

Angefangen bei der Öffentlichkeitsarbeit (ÖA) bekam ich einen Einblick, wie Publikationen, z. B. Flyer, entstehen. Außerdem begleitete ich Fototermine – darunter die konstituierende Sitzung eines Ausschusses – bei denen das Bildmaterial entsteht, das auf der Homepage des Landtages verwendet wird.

Zudem ist die ÖA für die Ausstellungen im Haus zuständig. Einerseits gibt es eine Jahresausstellung über mehrere Etagen, die aktuelle beleuchtet das Thema „Umwelt gestalten! Baubezogene Kunst aus der DDR im Land Brandenburg“. Andererseits gibt es auch wechselnde Ausstellungen im Eingangsbereich des Landtages, die sich auf Themen rund um das Leben, die Geschichte oder die Politik in Brandenburg beziehen.

Nach meiner Zeit in der ÖA wechselte ich in den Bereich Protokoll, der hingegen ersten Vermutungen mit Blick auf den Namen, rein gar nichts mit der Dokumentation im Landtag zu tun hat. Das Team im Bereich Protokoll ist u. a. für politische Treffen der Landtagspräsidentin mit Partnerregionen, Staatsgästen und anderen offiziellen Gästen sowie für die Kontaktpflege des Landtages zu offiziellen Einrichtungen im In- und Ausland zuständig. Zudem organisieren die Kolleginnen und Kollegen zahlreiche Veranstaltungen wie beispielsweise Gedenk- und Feierstunden oder Empfänge.

Diese Organisation erfordert viel mehr Zeit und Aufwand, als man sich vielleicht im ersten Augenblick vorstellen kann. Teilweise müssen hunderte Einladungen versendet und die Veranstaltung von der Örtlichkeit, über die Musik und das Essen bis hin zum detaillierten Ablauf geplant werden.

Ich denke, diese Art von Stress kann jeder und jede sich vorstellen, der schon einmal eine große Familienfeier organisiert hat. Diese Belastung und das Reagieren auf unvorhergesehene Ereignisse gehört bei den Kolleginnen und Kollegen des Protokolls in deutlich größerer Dimension zum Arbeitsalltag dazu.

Ich durfte sie dabei begleiten und unterstützen. So nahm ich z. B. an einem Mittagessen der Präsidentin mit der Besatzung der Fregatte Brandenburg teil.

Die Fregatte ist ein Schiff der Bundesmarine, für das Brandenburg 1994 die Patenschaft übernommen hat. Regelmäßig ist eine Delegation der Fregatte zu Besuch.

Ich begleitete auch zwei Neujahrsempfänge der Präsidentin für ehrenamtliche Kommunalpolitikerinnen und die Landespressekonferenz – diese Veranstaltungen fanden alle in wohl bemerkt nicht einmal vier Wochen statt.

Das Protokoll organisiert und begleitet diese Ereignisse und achtet auf den aus protokollarischer Sicht korrekten Ablauf, was bei Diplomatinnen und Diplomaten oder ausländischen Staatsgästen besonders wichtig ist.

Die Stabsstelle ist ein sehr vielseitiger Bereich, der sich unter anderem auch darum kümmert, die Inhalte rund um die parlamentarischen Prozesse und den Landtag auch den Jüngsten des Landes schon so früh wie möglich näherzubringen. In diesem Rahmen bietet der Bereich Besucherdienst und Parlamentsdidaktik u. a. Kinder- und Jugendseminare, Planspiele sowie Führungen durch das Haus an. Führungen gibt es natürlich für Besuchende jeden Alters.

Außerdem erscheint schon seit mehr als 20 Jahren jährlich ein Schülerkalender des Landtages, der Schulen auf Anfrage kostenlos zur Verfügung steht, und eine noch viel größere Sammlung an kostenfreien Unterrichtsmaterialien. Die Erarbeitung des diesjährigen Schülerkalenders durfte ich begleiten und mitbestimmen, welche Inhalte im kommenden Schuljahr zur Verfügung stehen werden. Dabei war es hilfreich, dass ich vor noch nicht allzu langer Zeit selbst noch Schülerin war und deshalb sehr nah an der Zielgruppe bin.

Wer aufmerksam gelesen hat, merkt an dieser Stelle, dass noch eine entscheidende Facette der Stabsstelle in meinen Ausführungen fehlt - die Pressestelle. Diese werde ich als nächstes begleiten und hier im Blog bald darüber berichten.

Versprochen ist versprochen, deswegen berichte ich natürlich noch, wie ich die Arbeit in dem letzten Sachgebiet der Stabsstelle – der Pressestelle – erlebt habe. Die Hälfte meines FSJ ist vorbei und ich habe neue Erfahrungen gesammelt:

Wenn es um Medien und Journalismus geht, wird oft von der „vierten Gewalt“ gesprochen. Presse, Funk und Fernsehen haben einen wichtigen Auftrag in unserer Gesellschaft: Sie sollen einerseits informieren, andererseits aber auch kontrollieren, denn die Presse beobachtet ganz genau, was die drei Gewalten Legislative, Judikative und Exekutive tun, und berichtet dies der Öffentlichkeit.

Mit dieser Kontrolle geht eine unabhängige meinungsbildende Funktion einher, die den Bürgerinnen und Bürgern durch die Vielfalt und Freiheit der Berichterstattung ein neutrales Bild geben soll. Deswegen können Journalistinnen und Journalisten beeinflussende Wirkungen auf die Gesellschaft haben. Demnach ist die hohe Relevanz der Medien in einer funktionierenden Demokratie erkennbar.

Der Landtag bildet die Legislative. Um die komplexen Prozesse und aktuellen Informationen aus dem Haus möglichst vollumfänglich in die Öffentlichkeit zu bringen und bestmöglich auf Anfragen von Journalistinnen und Journalisten reagieren zu können, gibt es die Pressestelle. Hier durfte ich den Kolleginnen und Kollegen vier Wochen lang über die Schulter schauen.

Grundsätzlich sind sie die erste Ansprechstelle für Journalistinnen und Journalisten, wenn Fragen in Zusammenhang mit dem Plenum oder dem Präsidium und anderen Gremien aufkommen.

Außerdem schreiben die Mitarbeitenden der Pressestelle regelmäßig Pressemitteilungen, um die Journalistinnen und Journalisten über Aktuelles aus dem Landtag zu informieren.

Zudem verfassen sie auch alle Meldungen, die auf der Website des Landtages veröffentlicht werden. So kann sich die Öffentlichkeit auch direkt informieren.

Ich durfte den Entstehungsprozess von Presseinformationen begleiten und somit auch die Grundlagen des journalistischen Schreibens erfahren. In diesem Zuge habe ich mich selbst auch an das Verfassen einer Pressemitteilung und einer Meldung herangetastet.

Die Bürgerinnen und Bürger werden nicht nur über die Website des Landtages, sondern auch in den Sozialen Medien informiert.

Der Landtag ist präsent auf Twitter, Instagram und YouTube. Für die Betreuung der Kanäle ist ebenfalls die Pressestelle zuständig. Das ist eine sehr kreative und herausfordernde Aufgabe, da man immer wieder neue Ideen für die Umsetzung finden muss.

Im Social Media-Bereich durfte ich im Rahmen meines eigenen Formats mitwirken.

Außerdem berät die Pressestelle des Landtages die Präsidentin zum Kontakt mit Journalistinnen und Journalisten und begleitet sie auch bei Interviewterminen. So war ich beispielsweise bei einem Interview der Präsidentin mit der Jugendredaktion „DIGGA“ von Alex Berlin dabei.

Des Weiteren finden im Landtag immer dienstags die Pressekonferenzen der Fraktionen mit den Journalistinnen und Journalisten statt. Darin berichten Abgeordnete der Fraktionen über aktuelle politische Themen, und die Journalistinnen und Journalisten können Fragen an sie richten. Es ist wichtig, dass auch die Pressestelle des Landtages die Pressekonferenzen verfolgt, falls es um relevante Informationen für die Präsidentin oder die Landtagsverwaltung geht.

Man merkt also, dass die Arbeit in diesem Teil der Landtagsverwaltung vielfältig und abwechslungsreich ist. Wie oben beschrieben, ist sie für eine funktionierende Demokratie enorm wichtig. Ist die Transparenz gegenüber der Bevölkerung nicht gegeben, kann es schnell zu Missverständnissen und Missmut kommen.

So hatte ich auch nach mittlerweile sechs Monaten noch einmal einen völlig neuen Blick auf die Arbeit in der Landtagsverwaltung und kann mir nun besser vorstellen, wie viel Aufwand hinter einem einzigen Artikel oder Videobeitrag steckt. Was mich vor allem beeindruckt hat, ist wie schnelllebig und zackig die journalistische Arbeit abläuft. Da fehlt jede Spur von Langsamkeit oder Trägheit, die in Klischees von Verwaltungen oft beschrieben wird.

Eine der größten Überraschungen meines FSJ war, dass Europapolitik im Landtag ein zentrales Thema ist. Es gibt nicht nur den Ausschuss für Europaangelegenheiten und Entwicklungspolitik, sondern ebenso einen kompletten Arbeitsbereich im Referat P 1 zu europäischen Themen in Bezug auf den Landtag Brandenburg.

Ich durfte diesen Bereich vier Wochen lang begleiten und habe dabei gelernt, dass Entscheidungen der EU oft auch uns Brandenburgerinnen und Brandenburger betreffen. Ehrlich gesagt war das Thema Europäische Union während meiner Schulzeit kaum von Relevanz und mein Vorwissen mau. Flagge, Hymne, Mitgliedsstaaten und die EU-Kommissionspräsidentin waren mir dennoch ein Begriff. In den ersten Tagen tauchte ich dann aber weitaus tiefer ein und erfuhr viel zu den verschiedenen Gremien in der Europapolitik und der Verbindung von Brüssel nach Brandenburg.

Viele Gesetze, die durch den Landtag als Legislative beschlossen werden, basieren auf europarechtlichen Vorgaben. Deshalb hat der Landtag natürlich ein Interesse daran, diese Vorgaben aktiv mitzugestalten.

Es gibt verschiedene Gremien, in denen das Land Brandenburg ein Mitspracherecht ausüben kann, bspw. den Ausschuss der Regionen (AdR), die Conference of European Regional Legislative Assemblies (CALRE) und den Kongress der Gemeinden und Regionen Europas (KGRE). Der KGRE setzt sich aus den Mitgliedern des Europarates zusammen und ist dementsprechend nicht allein ein europäisches Gremium. Der Monitoring-Ausschuss des KGRE tagt übrigens in diesem Jahr sogar in Potsdam.

Im Europabereich spielt auch das Subsidiaritätsprinzip eine wichtige Rolle. Das klingt sehr kompliziert und hochtrabend, meint aber lediglich, dass Entscheidungen auf der Ebene getroffen werden, die am besten geeignet ist, die Bedürfnisse und Interessen der Bürgerinnen und Bürger zu berücksichtigen. Die Intention dahinter ist eine lokale Verwurzelung der Politik, d. h. flapsig gesagt der, der am nächsten dran sitzt, entscheidet für gewöhnlich, es sei denn eine europarechtliche Regelung ist naheliegender.

Für diese Thematik wurde ein so genanntes Frühwarnsystem geschaffen, damit die nationalen und regionalen Parlamente stets überprüfen können, ob sich die EU an das Subsidiaritätsprinzip hält.

Der Landtag ist mit einer Kontakt- und Informationsstelle (KISt) in Brüssel präsent. Diese unterstützt die Mitglieder des Landtags, Ausschüsse und Fraktionen parteipolitisch neutral in EU-Angelegenheiten und beantwortet deren Anfragen. Sie beobachtet, analysiert und informiert über aktuelle, landtagsrelevante legislative und nicht-legislative Vorhaben und Initiativen der EU-Institutionen, insbesondere solche im Früh- und Entwicklungsstadium.

Das war nur ein kleiner europapolitischer Auszug, der aber darstellt, dass diverse komplexe Mechanismen dahinterstecken.

Auch aufgrund dieser Komplexität fühlt sich das Thema Europapolitik für die meisten sehr weit weg und nicht relevant für die eigene Lebensrealität an. Auch durch meine eigene Unwissenheit ist mir bewusst geworden, dass es mehr Aufmerksamkeit und Aufklärung in diesem Bereich bedarf. Deshalb habe ich mich während meiner Zeit im Europabereich mit dem öffentlichen Auftritt des Europabereichs im Landtag befasst und mir Gedanken gemacht, wie man die Themen nahbarer gestalten könnte.

Ich hoffe, dass der Blogbeitrag und die inhaltlichen Einblicke das Interesse bei dem einen oder anderen wecken.

Zu dem Zeitpunkt meiner Geburt war die Mauer bereits 15 Jahre zuvor gefallen. Meine Kindheit und Jugend ist dennoch geprägt von Begriffen wie „Ossi“ und „Wessi“. Schon früh bekam ich mit, dass es zur Zeit der DDR eher selten Südfrüchte gab, man sich am Geburtstag über ein Westpaket mit Schokolade freute, nicht jeder ein Abitur ablegen durfte, nur Urlaubsziele im Osten erreichbar waren und man bei politischen Aussagen eher vorsichtig sein musste.

Dass die DDR aber eine kommunistische und sozialistische Diktatur mit totalitären Ausmaß bis hin zu Menschenrechtsverletzungen war, wurde mir erst während meiner Zeit bei der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur (kurz: LAkD) so richtig bewusst - meine vorletzte Station während meines Freiwilligen Sozialen Jahres.

Die brandenburgische Aufarbeitungsbehörde gibt es seit 2009 infolge der Verabschiedung des Aufarbeitungsgesetzes durch den Landtag. Seit 2017 vertritt Dr. Maria Nooke als Landesbeauftragte die Menschen in Brandenburg, die Opfer von politischer Verfolgung jeglicher Art zur Zeit der sowjetischen Besatzungszone und DDR wurden. Hinter ihr steht ein 14-köpfiges Team, dass im Beratungs-, Bildungs- und Forschungsbereich tätig ist.

Die Bürgerberatung steht für Menschen bereit bei der Suche nach Unterlagen, bspw. Stasi-Akten oder Dokumentationen für politische Verfolgung oder einen rechtsstaatswidrigen Eingriff in das Leben einzelner Personen. Zudem unterstützt sie Menschen, die Opfer politischer Verfolgung wurden, bei der Durchsetzung von Rehabilitierungsmaßnahmen und weiteren Entschädigungs- und Ausgleichsleistungen. Sie übernimmt auch die psychosoziale Betreuung sowie die Beratung zu Behandlungsmöglichkeiten bei verfolgungsbedingter Belastung und Gesundheitsschäden und hilft bei der Aufarbeitung der persönlichen Lebensgeschichte. Also eine enorm wichtige Einrichtung für ca. zwei Millionen Opfer des DDR-Unrechts, die schätzungsweise noch in Deutschland leben. (Quelle: „Der lange Schatten politischer Verfolgung – Deutschlandfunk [26.05.2023])

Damit dieses Ausmaß erkennbar wird und bleibt, ist die Bildungsarbeit sowohl im Jugend- als auch im Erwachsenenbereich von großer Bedeutung. Ich durfte während meiner Zeit dort bspw. eine Gruppe Jugendlicher begleiten, die im Rahmen des Projekts „Zeitensprünge“ vom Landesjugendring Brandenburg einen Teil ihrer Regionalgeschichte erforschen und habe ihnen gemeinsam mit dem Bildungsteam der LAkD in einem Workshop gezeigt, wie gute Zeitzeuginnen und Zeitzeugenarbeit funktioniert.

Außerdem haben wir gemeinsam mit dem Bildungsteam eine Schulprojektwoche zum Thema „Jung und frei? Erwachsenwerden in der DDR zwischen Fremd- und Selbstbestimmung“ an einer Potsdamer Gesamtschule vorbereitet und durchgeführt. Das war zugegeben etwas surreal für mich, weil ich vor gut einem Jahr noch selbst vor und nicht hinter dem berühmt-berüchtigten „Lehrertisch“ saß.

Im Bereich der Erwachsenenbildung habe ich eine Gesprächsreihe zu dem 70. Jahrestag des Volksaufstandes am 17.Juni 1953 begleitet und somit insgesamt sehr viel historischen Input über die Zeit der DDR erlangt.

Mein neuerlangtes Wissen überrascht natürlich viele der Generation, die die Zeit selbst miterlebt haben - zugegeben genieße ich diesen Überraschungsmoment oft sehr. Das Gefühl hatte ich zumindest bei vielen Gesprächen, die ich am 17. Juni 2023 bei der gemeinsamen Gedenkveranstaltung von Staatskanzlei, Landtag und LAkD in Hennigsdorf anlässlich des 70. Jahrestages vom Volksaufstand in der DDR, führte. Gerade auch weil in der Schule die Zeit der deutschen Teilung eher weniger Beachtung im Lehrplan findet, war es für mich umso wichtiger die Gelegenheit zu nutzen, um viel über die Geschichte des Bodens zu lernen auf dem ich tagtäglich stehe.  

Der Schock, dass meine Eltern in einer Zeit geboren wurden, in der die Todesstrafe galt und Menschen beim unerlaubten Überqueren der Grenze erschossen wurden, sitzt immer noch tief. Ich denke aber, dass dieser Schock förderlich in Bezug auf mein Demokratiebewusstsein und das vieler weiterer junger Menschen sein könnte. Die Aufarbeitung dieser Zeit ist ein elementar wichtiger Punkt, wenn wir Geschichte nicht vergessen wollen und im besten Falle auch noch aus ihr lernen.

Falls das Interesse daran geweckt sein sollte, sind die zahlreichen Publikationen des Forschungsbereiches der LAkD zu empfehlen. Für den faulen Leser oder die faule Leserin auch der Podcast „TonFall“ der LAkD

Ich kann es selbst nur schwer begreifen, aber mein Jahr im Landtag ist vorbei. Ein Jahr im Zentrum der Demokratie Brandenburgs zwischen Debatten, Gesetzgebung und Kontrolle der Landesregierung. Versetze ich mich 12 Monate zurück, waren diese Themen und der Landtag völlig unnahbar für mich.

Meine letzten Wochen habe ich in dem Referat P 2 (Ausschussdienst) und anschließend dem Referat P 5 (Informationsdienste) verbracht. Ich habe die Mitarbeitenden bei dem Erstellen von Ausschussprotokollen unterstützt und mich in das elektronische Verteilungssystem für die Protokolle eingearbeitet. Zudem habe ich an vielen – teilweise auch nicht öffentlichen – Sitzungen teilgenommen, was natürlich besonders spannend war. Im Referat P 5 habe ich einen Einblick in die Arbeit der Bibliothek bekommen und weiter mit dem Verteilungssystem für Plenar- und Ausschussprotokolle gearbeitet.

Neben dieser Arbeit habe ich während der letzten Tage auch meine Zeit im Landtag für mich Revue passieren lassen:

Ich habe durch die ständigen Wechsel im Haus viele Erfahrungen gesammelt und habe mich in dem Jahr als Mensch weiterentwickelt. Die Arbeit im Landtag war für mich die erste Berufserfahrung und durch meine vorherige Unkenntnis bin ich mit meinen Aufgaben gewachsen und wurde dadurch von Woche zu Woche Landtags-Besessener – klingt etwas verrückt, ist es vielleicht auch.

Bevor ich mein FSJ begann, war ich selbst die größte Kritikerin des Gesamtkonzepts. Meine Sicht darauf änderte sich schnell. Ich empfehle jedem nach der Schule nicht direkt in Studium oder Ausbildung zu starten. Ein Jahr Berufserfahrung, ohne Prüfungsstress, persönliche Weiterentwicklung und – im Fall des Landtages – Einblick in die politische Welt sind das, was es ausmacht.

Diese Erfahrungen hätte ich nicht sammeln können ohne die Mitarbeitenden des Landtages. Deswegen möchte mich von Herzen bedanken für die Zeit, die sie sich genommen haben, für die Aufnahme in das Team, für jeden Termin, an dem ich teilnehmen durfte, und jede Beantwortung meiner unzähligen Fragen. 

Im ersten Blogeintrag habe ich davon berichtet, dass ich mir eine berufliche Zukunft nicht ausmalen könne, weil mir der realistische Einblick fehlt. Jetzt, wo der Einblick vorhanden ist und alles greifbarer ist, kann ich sagen, dass ich nicht ausschließen möchte, dass ich in Zukunft nochmal durch das Fortunaportal in den Innenhof zum Eingang spaziere.